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Quelqu'un qui s'occupe de moi

Museum Galerie Baviera, Zürich, 2018
Kurator Silvio Baviera

Eine Boje ist vielen Situationen erbarmungslos ausgesetzt. In der endlosen Schönheit des Ozeans hinterlassen Naturgewalten wie Regen, Wind, Sturm und starke Sonneneinstrahlung Spuren der Verwitterung. Vögel beschmutzen den Bojenkörper mit Vogeldreck, Muscheln befallen ihn. Reisst die Kette, kracht die Boje gegen Felsen oder wird an den Sandstrand geschwemmt. Und schliesslich der Mensch selber: Fischer, die aus Unachtsamkeit mit der Boje kollidieren und sie beschädigen. Vier Jahre bleibt die Boje an ihrem Standort, danach geht sie in Revision, wo für ihren Unterhalt gesorgt wird. Beulen, Kratzer, Ablagerungen, Dreck, Rost, Farbabblätterungen werden wieder ausgemerzt. Sie wird geputzt, sandgestrahlt, mit einem neuen Anstrich versehen und ottgemacht, bevor sie an einem neuen Standort ausgesetzt wird und wieder ihren Dienst antritt. Das Leben einer Boje spielt sich in der Regel in einem Zyklus von vier Jahren im Meer und paar Monate an Land ab. Die Lebensdauer beträgt etwa 60 Jahre.


Eine Boje ist ein Verkehrszeichen und signalisiert Gefahren so, dass sich die Seeleute sicher auf See bewegen können. Unterschiedliche Formen und Farben entsprechen dabei unterschiedlichen Signalen und sind entweder Gebots- oder Verbotszeichen. Noch im 19. Jahrhundert hatten Lotsen die Aufgabe, Seeleute auf Sandbänke, Riffs und andere Unwegsamkeiten aufmerksam zu machen. Diese waren allerdings nicht immer erfolgreich. Alleine auf der Strecke zwischen der Gironde-Mündung an der westfranzösischen Küste bis nach Bordeaux liegen noch heute gut 50 gesunkene Schiffe. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die durch die Industrialisierung ermöglichte Eisenverarbeitung nicht nur den Eiffelturm oder den Brückenbau hervorbrachte, sondern auch die Konstruktion der kugel- oder kegelförmigen Hohlkörper aus Metall begünstigte.


Die Bojen auf Simon Beers 21 Fotografien (102 x 77 cm, Lambda-Prints) sind Relikte aus einer anderen Zeit. Sie wurden alle zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und den 1960er-Jahren hergestellt, wiegen zwischen 400 und 1200 kg, sind geschweisst oder genietet. Wie bei der klassischen Sachfotografie sind die Körper neutral ausgeleuchtet, sie schweben frei im Raum und lassen ihre Formschönheit und Ober ächenbeschaffenheit bis ins letzte Detail erkennen; eine Nummer gibt jeweils die Koordinaten – Longitude und Latitude – des letzten Einsatzortes an. Im Grunde sind es aber Porträts von Bojen, deren Leben ihnen ins Gesicht geschrieben steht. Nicht bloss die reine äussere Erschei- nung wird hier abgebildet, Simon Beer lässt ihr eigentliches Wesen hervortreten. Dazu verleiht er ihnen weiblich-männliche, französische Doppelnamen – Marie-Baptiste, Laure-Dominique, Marie-Stéphane, Anne-Edouard, Marie-Eugène, Lise-Claude, Jeanne-Alix – und macht sie so als eigenständige Persönlichkeiten noch deutlicher erkennbar.


Im diesem Zusammenhang erhält der Satz «Quelqu’un qui s’occupe de moi» eine doppelte Bedeutung: Wer oder was kümmert sich um wen? Wer spricht hier? Sind es die Seeleute oder doch eher die Bojen, denen, nachdem sie dem Bedrohlichen und Ungewissen, den Ängsten und der Einsamkeit, aber auch der Schönheit und Stille ausgesetzt waren, eine Verschnaufpause und Regenerationsphase gegönnt wird? Für ihren Unterhalt und ihre Unterbringung ist im vorliegenden Fall die Direction Interrégionale de la Mer Sud-Atlantique, Service de la Sécurité et des Contrôles Maritimes, Division Sécurité, Navigation et Prévention des risques, Subdivision des Phares et Balises du Verdon zuständig – das Äquivalent eines Strassenverkehrsamtes für die Schifffahrt.
Auf den Bildern schweben die Metallkolosse schwerelos und still in der Luft. Aus ihrem natürlichen Lebensraum gerückt, gleichsam entmaterialisiert, sind sie aufs Papier gebannt. Und doch überwältigen die skulpturale Präsenz der Körper, die Farbreliefs und die Pigmentierung der Metallhaut unsere Sinne. Grösse und Schönheit evozieren eine Erfahrung des Sublimen, die Erstaunen, beinahe Ehrfurcht auslöst.


Simon Beer lebt seit fast fünf Jahren die Hälfte des Jahres an der französischen Atlantikküste. Schon lange hatte er die Absicht, eine künstlerische Arbeit mit Bojen zu realisieren. Als er am Atlantik auf eine angeschwemmte, 15 Meter hohe Boje stösst, flammt seine ursprüngliche Faszination wieder auf. Die Bojen repräsentieren für ihn eine idealtypische Skulptur und passen perfekt in seine fortwährende künstlerische Auseinandersetzung mit dem gefundenen Objekt (objet trouvé). Aus ihrem ursprünglichen, zweckbestimmten Kontext in einen poetischen Raum gerückt, werden sie mit Bedeutung und Wertschätzung aufgeladen. Simon Beer versteht seine Ausstellung denn auch weniger als Fotoarbeit als vielmehr als Skulpturenausstellung.


Mirjam Fischer

Marie-Joseph
45° 00’ 30’’N / 0° 35’ 04’’W
Lambdaprint matt
77x102cm

Sarah-Lou
45° 01’ 07’’N / 0° 31’ 39’’W
Lambdaprint matt
77x102cm

Marie-Pierre
44° 56’ 18’’N / 0° 25’ 50’’W
Lambdaprint matt
77x102cm

Marie-Audren
44° 54’ 20’’N / 0° 18’ 49’’W
Lambdaprint matt
77x102cm


Ansicht Galerieraum
21 Lambdaprints matt
je 77x102cm